Am Mittwoch, 11.12.2002 fand die Unterzeichnung eines zusätzlichen Kooperationsvertrages zur Förderung von Mädchen im naturwisenschaftlich-technischen Unterricht zwischen dem AvH und der TU-Harburg statt.
Das AvH ist die erste Harburger Schule, die einen solchen Vertrag unterzeichnet hat.
Bereits am 22. April 2002 hat die Technische Universität Hamburg (TUHH) mit 13 ausgewählten Hamburger Gymnasien – darunter dem Alexander-von-Humboldt-Gymnasium – einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, um Schülerinnen und Schüler für die so genannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu begeistern und diese Fächer in der schulischen Bildung zu stärken.
Ziel des Zusatzvertrages ist es, im Rahmen des Pilotprojektes des Women´s Competence Centers der TUHH, Schülerinnen zu motivieren, sich im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht zu engagieren, sowie einen späteren Beruf oder ein Studium in diesem Bereich für sich in Betracht zu ziehen. Mädchen haben es aufgrund der gesellschaftlichen Rollenerwartungen nach wie vor oft schwerer als Jungen, ihre Begabungen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu erkennen und zu entwickeln.Durch Angebote und Zusammenarbeit mit der TUHH sollen besonders Mädchen bereits frühzeitig in der Gestaltung selbstbewusster technischer Kompetenz gefördert werden:
Als erstes Vorhaben wird eine spezieller Computerkurs in der TUHH, begleitet von Lehrerinnen des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums, Mädchen der 8. Klassen in vielfältige Nutzungen und Anwendungen des Computers einführen und vertiefende Anwendungen vermitteln. Anschließend sollen die Mädchen im Fachunterricht ihrer Klassen als Multiplikatoren insbesondere auch den Jungen die sachgerechte Anwendung neuer Medien vermitteln.
Zur Vertragunterzeichnungen waren Schülerinnen der Projektgruppe, Herr Professor Wolfgang Bauhofer (Vizepräsident Lehre der TUHH), Herr Jürgen Marek, (Schulleiter des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums), Frau Dagmar Bork, (Gleichstellungsreferentin der TUHH), Frau Christa Grimm (Kontaktlehrerin zur TUHH) sowie weitere Lehrerinnen anwesend .
Warum hat das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium diesen Zusatzvertrag abgeschlossen?
Agenda 21 und Nachhaltigkeit werden von Vielen in die Ecke von Ökologie und Umwelt gedrängt; hier bei wird übersehen, dass die Agenda 21 neben der Ökologie gleichberechtigt soziale und ökonomische Dimensionen auf die Tagesordnung des 21. Jahrhunderts setzt, deren schulische Ausgestaltung auch Teil unseres Schulprogramms ist.
Kapitel 24 der Agenda 21 beschäftigt sich ausschließlich mit einem globalen Aktionsplan für Frauen und Mädchen und fordert unmissverständlich eine „Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungschancen von Frauen und Mädchen in Wissenschaft und Technik“. Der Abschluss des Kooperationsvertrages ist also nichts weiter als die konsequente Umsetzung der Agenda 21 auf lokaler Ebene und damit ein weiterer Mosaikstein zur Verwirklichung unseres Schulprogramms.
Der Abschluss eines Förderprogramms ausschließlich für Mädchen wirft natürlich die Frage auf, warum nicht die Jungen mit einbezogen worden sind. Um Missverständnissen vorzubeugen: es geht uns nicht um eine Diskriminierung der Jungen und wir sind auch nicht gegen gemeinsame Aktions- und Förderprogramme für Jungen und Mädchen, wie unsere sonstigen Aktivitäten zusammen mit der TUHH zeigen. Dieses Programm soll aber ausschließlich einmal den Mädchen vorbehalten bleiben und zwar aus folgenden Gründen:
Empirische Untersuchungen zur Rolle der Mädchen in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern belegen folgendes:
- Schon am Ende der Grundschulzeit zeigen sich im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich beträchtliche Leistungs- und Interessenunterschiede zwischen den Geschlechtern. Der Leistungsrückstand und der Interessenrückstand der Mädchen vergrößern sich in der weiteren Schulzeit noch erheblich. Insbesondere gilt dies für die Mathematik und die Physik, in abgeschwächter Form für die Chemie; nicht aber für das Fach Biologie.
- Weitgehend unabhängig von der Schulart ist Physik für die Mädchen eines der uninteressantesten Fächer überhaupt, für die Mehrzahl der Jungen dagegen eines der interessantesten.
- Die weitere Entwicklung hin zu Studienstufe und Beruf legt erst recht eine Intervention zugunsten der Mädchen nahe: so beträgt das Verhältnis von Jungen zu Mädchen, die einen Leistungskurs Physik wählen 10:1. Der Anteil von Studentinnen im Fach Physik und im technischen Bereich ist verschwindend gering.
- Wir stellen fest: Nach ca. 3 Jahrzehnten gemeinsamen Unterrichtes von Mädchen und Jungen hat sich die Situation der Mädchen in Schule und Beruf im naturwissenschaftlich-technischen Bereich kaum verändert. Es gilt nach wie vor, die zweifellos vorhandenen Begabungen von Mädchen in diesem Bereich zu erkennen und zu entwickeln. Hierzu bedarf es besonderer Anstrengungen und besonderer Programme. Dieses Kooperationsprojekt ist ein solches. Alle Untersuchungen zeigen, dass sich Mädchen nicht generell weniger als Jungen für naturwissenschaftliche Inhalte interessieren. Um Mädchen jedoch zu interessieren, kommt es neben den Inhalten aber mehr auf die Kontexte an, in denen diese Inhalte erarbeitet werden. Hier spielt sicher der Lebensweltbezug eine wichtige Rolle. Ein Aspekt, den der heutige Biologieunterricht sicher besser einlöst, als der an der Fachwissenschaft orientierte Unterricht in Physik und Chemie.
- Das Selbstvertrauen der Mädchen, in den naturwissenschaftlichen Fächern etwas leisten zu können, ist vergleichsweise gering. Unterricht und Lehre sollten so gestaltet, dass es sich positiv entwickeln kann. Da Mädchen in aller Regel weniger Erfahrungen im Umgang mit Geräten u. a. Computern haben als Jungen, sind Unterrichtsformen angezeigt, in denen sie hier Erfahrungen aus erster Hand machen können. Hier können und sollen, auch unter zeitweiser Aufhebung von Koedukation, stärkeres Selbstvertrauen und Kompetenz erworben werden.
Zuletzt nach ein Wort zur „Jungenförderung“: Mädchen in offensichtlichen Nachteilssituationen zu fördern ist keine Benachteiligung der Jungen, kommen doch die Besinnung auf kontextbezogenen Unterricht und die Begegnung mit selbstbewussten, kompetenten Mädchen auch ihrer Entwicklung zu Gute.
Wir dürfen aber nicht verkennen, dass sich auch den Bildungsgängen unserer Jungen eklatante Defizite offenbaren, die einer speziellen Förderung bedürfen. So legte gerade die PISA-Studie zwei große Defizitbereiche offen:
- „Jungen lesen nicht so gut und haben auch weniger Lust dazu“ Hier müssen sicher Bemühungen um einen Ausgleich von Benachteiligungen der Jungen an der Lesemotivation und an den Leseaktivitäten ansetzen.
- Im Bereich des Sozialverhaltens sind Mädchen im Mittel stärker prosozial orientiert und zeigen geringere individualistische und aggressive Tendenzen als Jungen. Die daraus abgeleitete Forderung nach sozialer Jungenförderung ist nicht neu und ist sicher von uns verstärkt in Angriff zu nehmen. Nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich der Jungenanteil in den Oberstufenklassen teilweise wohl auch aufgrund dieses Sozialverhaltens dramatisch verringert.
Mädchenförderung und Jungenförderung ist also angesagt, das eine muss getan werden, ohne das andere zu lassen. Beginnen wir mit einem ersten Modellprojekt.
© 2002 Mar