Reiseberichte im Fernsehen lobe ich mir. Man liegt in aller Ruhe auf dem Sofa, draußen das Hamburger Schmuddelwetter und auf der Mattscheibe Sonne, blauer Himmel und exotische Gefilde. Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, wenn man, wie in den Frühjahrferien 2002, mit 19 Leuten selbst eine Fernreise unternimmt.
4 Jahre ist es her, dass Frau von Homeyer den ersten Kontakt zu unserer Partnerschule in Somita, Gambia, herstellte. Viele Briefe zwischen den Schülern gingen hin und her, Päckchen mit Gebrauchsgegenständen wurden verschickt, die für uns selbstverständlich sind, für den gambianischen Schüler aber nicht.
Ebensowenig selbstverständlich ist es in Gambia, Strom zu haben; auf dem Dorf schon gar nicht. Dort ist es nach Einbruch der Dunkelheit, etwa halb acht, stockfinster. Was lag näher, als den Wunsch unserer Partnerschule nach Strom zu erfüllen. Strom in der Schule hieß, dass die Schüler auch am Abend lernen, dass elektrische Schreibmaschinen und Computer ihren Einzug halten konnten.
Da in Afrika die Sonne fast jeden Tag vom Himmel brennt, fiel uns die Wahl einer Solaranlage nicht schwer; einer Anlage, die etwa 1 Kilowatt Strom im Dauerbetrieb zu leisten vermag. Als Vergleich: Die Glühbirne einer normalen Lampe hat etwa 60 Watt, in der Stromsparausführung nur noch 11 Watt. Ein Computer hat eine Stromaufnahme von etwa 300 Watt.
Ich will nicht mit den Details langweilen, auch nicht mit den Bemühungen, die unsere Gruppe aus 10 SchülerInnen und 9 Erwachsenen durchlitt, um das Geld zusammenzubringen.
Die Solaranlage wurde gekauft und Anfang Februar nach Gambia mit allem Zubehör für die Installation verschifft.
Wir flogen am Freitag, dem 1. März, um 10 Uhr morgens von Hamburg hinterher. Meine Angst vor dem Fliegen, weil ich so selten geflogen bin, ist wie weggewischt. Seit wir so oft gestartet, gelandet und wieder gestartet und gelandet sind, bilde ich mir ein, dass nichts sicherer ist als Fliegen. Unsere Flugzeit war nur etwas lang. Für billige Flüge zahlt man immer einen Preis. Für uns hieß das 36 Stunden auf den Beinen, bis wir endlich am Ziel waren. Für den Rückflug waren’s dann noch 5 Stunden mehr.
Der Kulturschock schon in der Ankunftshalle in Dakar, im Senegal: ein Schuppen, dazu das übliche Chaos, das uns von nun an täglich begleitete. Unsere Zeitrechnung geriet ins Stocken, nichts war mehr, wie es war.
Unsere Freude um 3 Uhr samstags früh auf ein Frühstück bei Freunden unseres Gastgebers Malang Faati; der nächste Schock: Statt Kaffee, Brötchen mit Marmelade und Honig gab’s Baguettes, Tomaten, Paprika und kalten Bratfisch.
Danach 6 Stunden zu 6 oder 7 Leuten im Buschtaxi in Richtung Gambia River. Wohlige Nähe zu seinem Nächsten, Schlafstörungen durch Schlaglöcher und ausgediente Stoßdämpfer, Staublunge und grauer oder roter Rotz, je nach Beschaffenheit der Piste.
Endlich geht die Sonne auf, endlich machen wir eine Pinkelpause. Jeder sucht in der Wildnis einen Busch, einen Baum. Wunsch nach einem Kaffee. Stattdessen nie endende Autofahrt.
Großartig der Sonnenaufgang. Wir sehen, wo wir sind. Links und rechts Buschsteppe, vereinzelt Bäume, Baobabs (Affenbrotbäume) sind auch darunter; der mythische Baobab. Fahrt durch Dörfer, deren Rundhütten und Zäune aus grauem Stroh zu sein scheinen.
Ebenso großartig der Anblick von Menschen, die aus dem Nichts auftauchen, zu Tausenden, wie es scheint, alle auf dem Weg zur Straße, um mit einem Bus, vollgepfercht bis auf die Stoßstange, zum Markt, zur Arbeit oder zur Schule zu fahren. Überhaupt die Menschen: alle Schwarz, aber mit welcher Farbenpracht, fast wie die Palette eines Malers.
Endlich sind wir gegen 13 Uhr am Gambia River. Wohin man blickt, wuseln Menschen. Und hier ist es auch, wo wir Bekanntschaft machen mit dem die nächsten 12 Tage immer wieder gehörten Ruf, „Hello, good friend! Have nice things. Best price in town.“ Da will mir doch tatsächlich jemand frische Eier verkaufen, ein anderer möchte meine Sandalen putzen. Ich frage ihn, was das soll, ob er meine Füße gleich mitputzen möchte.
Unser Gastgeber Faati verhandelt unterdessen, damit wir auf die Fähre gelangen, die schon überladen ist; auf die Fähre, von denen eine vor 3 Wochen gesunken ist. Himmlische Aussichten. Zuerst heißt es, dass wir nicht mit auf die Fähre kommen, sondern erst mit der 16 Uhr-Fähre fahren könnten. Wir sind nach 35 Stunden und sengender Sonne völlig fertig und haben kaum noch Nerven, 2 1/2 weitere Stunden zu warten. Nach dem Hinweis Faatis, dass wir nach Gambia gekommen seien, um den Kindern der Gambianer eine Solaranlage zu installieren, öffnet sich die Pforte einen schmalen Spalt und wir können hindurchschlüpfen. Alle anderen, die mit wollen, werden durch geschwungene Knüppel zurückgehalten. Trotz meiner Müdigkeit fühle ich mich wie ein Kolonialherr. Die Menschen wissen ja nicht, weshalb wir durchkommen, sie draußen bleiben müssen.
Nach einer Stunde Fahrt erreicht die Fähre Banjul, die Hauptstadt Gambias. Von hier nach Serekunda, der größten Stadt des Landes, dauert es nur noch 20 Minuten. Der zweite Kulturschock ist Serekunda: Wellblech, wohin ich blicke. Die Hauptstraße größtenteils eine in roten Staub gehüllte Piste. Irgendwann biegt der Bus nach links in einen Weg, der an beiden Seiten von mannshohen Häusern gesäumt ist. Auch hier wieder Dächer, Türen, Zäune aus Wellblech. Natürlich sind wir Weißen die Attraktion. Von überall her ruft es „Tubab“ (Weißer).
Faatis Anwesen: mit Wellblechtür und Wellblechtor nach außen abgeschottete Enklave. Hinter der Tür fällt mir als erstes ein Brunnen auf. Hier werden wir Wasser zum Duschen und für das Klo holen. Zwei Gebäudetrakte links und rechts, in der Mitte ein kleiner Innenhof von grauem Sand. Ganz hinten eine Garage, daneben links und rechts Gebäude, die als Klos für weitere Mitbewohner dienen.
Die Männer schlafen im rechten Gebäude, die Frauen im linken, wo sich auch unser Essraum befindet. Unsere Schlafplätze sind komfortabel: große Reismatratzen. Ich schlafe mit André zusammen auf einer Matratze und bin froh, weil er für uns das Moskitonetz anbringt. Auch sonst ist er ein angenehmer Schlafpartner, weder höre ich ihn schnarchen, noch macht er sich breit. Nur einmal muss ich ihm mein Kopfkissen wegnehmen, das er wie einen Teddy umschlungen hält.
Am Sonntag bin ich, wie auch sonst, der erste, der wach ist; nach einer fürchterlichen Nacht, war an Einschlafen trotz Übermüdung doch nicht zu denken, denn André und ich haben noch einen weiteren Schlafgenossen, der, weil er verschnupft ist, den gesamten böhmischen Wald abgeholzt hat. Wir hören uns das noch zwei weitere Nächte an, dann quartieren wir ihn aus.
Ließ mich das Schnarchen nicht einschlafen, so saß ich um 5.15 in der Früh senkrecht unter unserem Moskitonetzt, weil von vier Moscheen gleichzeitig deren Lautsprecher Alllah Akbar (Gott ist groß) schnarrte. Die Hoffnung, auf meinen Wecker zu warten, den ich auf 6 Uhr eingestellt hatte, ließ ich am ersten Morgen fahren, da der Singsang bis 7.15 nicht abriss. So saß ich am ersten Morgen in völliger Dunkelheit, trank meinen Kaffee, rauchte meine Pfeife und wartete, dass der Kiosk direkt vor unserer Haustür aufmachte, wo ich für uns alle die Baguettes kaufte.
Natürlich hat man des Morgens Bedürfnisse. Da ist der geheiligte Gang zum Klo, da ist die Dusche. Unser Gastgeber hatte eigens für uns ein neues Badezimmer mauern lassen, das an unserem Ankunftstag noch ein wenig bröselig, weil zu frisch war. Immerhin gab es im Männerhaus die auch von den Frauen geschätzte Duschwanne, in der wir uns aus einem Eimer geschöpftes Wasser über den Kopf gossen. Gleich daneben war das Klo, ein Loch von maximal 15cm im Durchmesser. Zielgenauigkeit war angesagt. Ich hatte das Glück eines Porzellansitzklos, das sich außerhalb des Frauenhauses befand. In Somita, dem Dorf, bevorzugte ich die freie Natur.
Der Sonntag diente der ersten Orientierung, Ausflug zum Strand, wo sich eine Reihe von Schülern auf einem Markt mit Trommeln eindeckte, um dann am Strand mit Einheimischen um die Wette zu trommeln. Das schöne Bild wurde nur dadurch gestört, dass wir zu Ende der Trommelei von den einheimischen Trommlern um Geld gebeten wurden.
Der Sonntag diente auch dem Pläneschmieden, weil wir ja am nächsten Tag nach Somita fahren sollten, um unsere Aufgabe in Angriff zu nehmen, die Solaranlage zu installieren. So saßen wir am Montag auf gepackten Koffern und warteten darauf, dass der Lastwagen mit der Solaranlage und unser Bus uns abholen sollte.
Wir warteten noch zwei Tage, bis wir endlich am Mittwochnachmittag nach Somita aufbrachen. Ankunft in Dunkelheit, einzig Taschenlampen wiesen den Weg. Männerhaus, Frauenhaus. Ein Koffer ist gestohlen, findet sich nach zwei Tagen und Drohung mit der Polizei wieder an. Die Jugendlichen, die ihn gestohlen haben, werden des Dorfes verwiesen.
Am Donnerstag wird die Solaranlage samt Zubehör unter Anteilnahme der einheimischen Schüler und der Dorfvorsteher abgeladen. Der Freitag, Samstag und Sonntag gehören der Installation der Anlage, die am frühen Sonntagnachmittag auch funktioniert. Dazwischen Kurse in Solarenergie für die einheimischen Schüler, Schulung des Umweltbewusstseins, von dem in Gambia keine Rede sein kann, brennt doch der Müll allerorten am Straßenrand.
Am Abend die Einweihungsfeier, das halbe Dorf ist auf den Beinen. Überwältigend: die Schule, die durch ihr Licht wie ein Leuchtturm in der Dunkelheit erstrahlt. TänzerInnen wirbeln den Sand auf, fordern auch uns auf, mitzumachen. Anschließend Danksagungen der Dorfältesten, Reden unsererseits usw.
Am Montag sind wir ein letztes Mal in der Schule, nehmen am Unterricht teil, der mich daran erinnert, wie es wohl zu Kaisers Zeiten bei uns gewesen sein mag. Lehrer sagt etwas, fragt, ob verstanden, Schüler nicken ab.
Anschließend durch die rote Sandwüste zurück nach Serekunda, zurück, weil wir nur von hier aus den „kulturellen Teil“ unserer Reise bestreiten können. Somita ist so weit von allem fort, dass es Stunden dauern würde, um an den Strand, in die Hauptstadt oder sonstwohin zu fahren.
Was bleibt zu sagen: Unsere Gruppe war großartig!! Wir haben viel miteinander gelacht, selbst, wo es nichts zu lachen gab. Nirgendwo die Quengeleien übersatter Schüler, die man von Klassenreisen kennt, stattdessen Hilfsbereitschaft, Empathie, das Gefühl eines einmaligen Erlebnisses, auch Demut, im Anblick der „Armseligkeit“.
Was bleibt zu hoffen: Die Fortführung des Projektes, des Kontaktes mit Somita unter ähnlichen Bedingungen, wie wir sie erlebten. Keine Tourismusenklave, abgeschirmt von den wirklichen Existenzbedingungen der Bevölkerung, sondern
Gambia – No Problem! Es war alles kein Problem, es dauerte nur etwas länger.
© 2002 Bc